Es gibt ein wesentliches Konzept für die Chemie und die Physik. Es hilft zu erklären, warum physikalische Vorgänge in eine Richtung verlaufen und nicht in die andere: warum Eis schmilzt, warum sich Sahne im Kaffee verteilt und warum Luft aus einem durchlöcherten Reifen entweicht. Es heißt Entropie und ist bekanntlich schwer zu verstehen. Entropie beschreibt man oft als Grad der Unordnung. Das ist ein einleuchtendes Bild, aber leider irreführend. Was ist zum Beispiel ungeordneter: eine Tasse mit zerstoßenem Eis oder ein Glas Wasser auf Raumtemperatur? Die Meisten würden sagen: das Eis. Es hat aber faktisch geringere Entropie. Eine andere Vorgehensweise ist die Wahrscheinlichkeitsaussage. Es ist vielleicht kniffliger, aber wenn Du Dir die Zeit nimmst, es zu verinnerlichen, wirst Du Entropie besser begreifen. Schau Dir zwei kleine Festkörper an, die jeweils sechs Atombindungen umfassen. In diesem Modell speichern die Bindungen die Energie jedes Festkörpers. Jene kann man sich als einfache Gefäße denken, die unteilbare Energieeinheiten, bekannt als Quanten, enthalten. Je mehr Energie ein Festkörper hat, desto heißer ist er. Tatsächlich gibt es unzählige Möglichkeiten, wie die Energie auf die zwei Festkörper verteilt sein kann und immer noch dieselbe Gesamtenergie in beiden vorhanden ist. Jede dieser Alternativen wird Mikrozustand genannt. Für sechs Energiequanten im Festkörper A und zwei im Festkörper B gibt es 9 702 Mikrozustände. Natürlich gibt es andere Alternativen, wie unsere acht Quanten angeordnet sein können. Die ganze Energie könnte etwa im Festkörper A sein und keine in B oder die Hälfte in A und die Hälfte in B. Nimmt man an, jeder Mikrozustand sei gleich wahrscheinlich, erkennt man, dass einige Konstellationen der Energieverteilung mit höherer Wahrscheinlichkeit auftreten als andere. Das liegt an ihrer größeren Anzahl an Mikrozuständen. Entropie ist ein direktes Maß für die Wahrscheinlichkeit jeder Energiekonstellation. Die Energiekonstellation, bei der sich die Energie zwischen den Festkörpern am weitesten ausbreitet, hat die höchste Entropie. Grundsätzlich kann man also Entropie als Maß für diese Ausbreitung von Energie betrachten. Geringe Entropie bedeutet, die Energie ist konzentriert. Hohe Entropie bedeutet, sie ist verteilt. Um zu verstehen, warum Entropie zur Erklärung spontaner Vorgänge nützlich ist -- etwa für heiße, sich abkühlende Objekte --, muss man sich ein dynamisches System mit wandernder Energie ansehen. In Wirklichkeit ist Energie nicht ortsfest. Sie wandert ständig zwischen benachbarten Bindungen hin und her. Während die Energie wandert, kann sich die Energiekonstellation ändern. Wegen der Verteilung der Mikrozustände gibt es eine Wahrscheinlichkeit von 21 %, dass das System die Konstellation annimmt, bei der die Energie maximal verteilt ist. Es besteht eine Aussicht von 13 %, dass sie zum Ausgangspunkt zurückkehrt, und eine Wahrscheinlichkeit von 8 %, dass A tatsächlich Energie hinzugewinnt. Weil es also mehr Möglichkeiten zur Energiestreuung gibt und eine hohe Entropie statt konzentrierter Energie, neigt die Energie dazu, sich auszubreiten. Darum erwärmt sich ein kaltes Objekt und ein heißes Objekt kühlt ab, wenn man beide nebeneinanderstellt. Aber selbst bei diesem Beispiel gibt es eine Wahrscheinlichkeit von 8 %, dass das heiße Objekt heißer wird. Warum passiert das nie im echten Leben? Es dreht sich alles um die Größe des Systems. Unsere hypothetischen Festkörper haben jeweils nur sechs Bindungen. Vergrößern wir die Festkörper auf bis zu 6 000 Bindungen und 8 000 Energieeinheiten und starten das System erneut bei drei Viertel der Energie in A und einem Viertel in B. Jetzt sehen wir, dass die Wahrscheinlichkeit für A, spontan mehr Energie aufzunehmen, diese winzige Zahl ist. Gewohnte Alltagsgegenstände haben viel mehr Teilchen als diese. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein heißes Objekt in der echten Welt heißer wird, ist ungeheuer gering. Es passiert einfach nicht. Eis schmilzt, Sahne vermischt sich und Reifen entleeren sich, weil diese Zustände mehr verteilte Energie als die ursprünglichen haben. Es gibt keine rätselhafte Kraft, die das System zu höherer Entropie schubst. Höhere Entropie ist statistisch nur immer wahrscheinlicher. Darum wird Entropie auch Pfeil der Zeit genannt. Wenn Energie die Gelegenheit hat, sich zu verteilen, tut sie es.