1 00:00:06,330 --> 00:00:11,269 Viele Menschen, die eine Gliedmaße verloren haben, können diese noch fühlen, 2 00:00:11,269 --> 00:00:16,976 nicht als Erinnerung oder Kontur, sondern mit lebensechten Details. 3 00:00:16,976 --> 00:00:19,438 Sie können ihre Phantomfinger beugen 4 00:00:19,438 --> 00:00:22,722 und fühlen manchmal sogar das Uhrenarmband 5 00:00:22,722 --> 00:00:25,948 oder das Pochen eines eingewachsenen Fußnagels. 6 00:00:25,948 --> 00:00:27,917 Es verblüfft, dass auch manche Menschen, 7 00:00:27,917 --> 00:00:33,464 denen bei Geburt eine Gliedmaße fehlte, Phantomempfindungen berichten. 8 00:00:33,464 --> 00:00:36,650 Was verursacht Phantomempfindungen? 9 00:00:36,650 --> 00:00:38,692 Vermutlich entstehen sie dadurch, 10 00:00:38,692 --> 00:00:42,364 dass eine Körper-Landkarte in unserem Gehirn existiert. 11 00:00:42,364 --> 00:00:45,607 Die Tatsache, dass Menschen, die ohne eine Gliedmaße geboren werden, 12 00:00:45,607 --> 00:00:46,944 diese trotzdem fühlen, 13 00:00:46,944 --> 00:00:51,607 deutet darauf hin, dass bei der Geburt eine solche Landkarte angelegt ist. 14 00:00:51,607 --> 00:00:55,172 Aber Phantomglieder unterscheiden sich 15 00:00:55,172 --> 00:00:58,459 von ihren Vorgängern aus Fleisch und Blut, 16 00:00:58,459 --> 00:01:01,593 da sie meist Schmerzen erzeugen. 17 00:01:01,593 --> 00:01:05,447 Um Phantomglieder und Phantomschmerz zu verstehen, 18 00:01:05,447 --> 00:01:09,802 muss der Weg von der Extremität zum Gehirn verfolgt werden. 19 00:01:09,802 --> 00:01:13,624 Durch unsere Glieder laufen sehr viele sensorische Neurone, 20 00:01:13,624 --> 00:01:16,082 die uns Fingerspitzengefühl geben 21 00:01:16,082 --> 00:01:20,048 und auch das Verständnis für die Lage unseres Körpers im Raum. 22 00:01:20,048 --> 00:01:24,022 Diese sensorische Information wird über neuronale Bahnen 23 00:01:24,022 --> 00:01:26,009 durch das Rückenmark zum Gehirn geleitet. 24 00:01:26,009 --> 00:01:30,042 Eine lange Strecke bis zum Gehirn liegt außerhalb der Extremität, 25 00:01:30,042 --> 00:01:34,184 deshalb existiert ein großer Teil davon auch noch nach der Amputation. 26 00:01:34,184 --> 00:01:36,253 Jedoch verändert der Verlust eines Gliedes 27 00:01:36,253 --> 00:01:40,260 die Signalübertragung zum Gehirn. 28 00:01:40,260 --> 00:01:42,031 Am Amputationsort 29 00:01:42,031 --> 00:01:46,264 werden durchtrennte Nervenenden häufig dicker und sensibler, 30 00:01:46,264 --> 00:01:50,697 wodurch sie schon bei leichtem Druck Notsignale senden. 31 00:01:50,697 --> 00:01:52,386 Unter normalen Umständen 32 00:01:52,386 --> 00:01:56,988 würde eine Signalhemmung im Hinterhorn des Rückenmarks stattfinden. 33 00:01:56,988 --> 00:02:00,957 Unbekannt ist jedoch, warum nach einer Amputation 34 00:02:00,957 --> 00:02:05,623 die Hemmung des Hinterhorns fehlt, 35 00:02:05,623 --> 00:02:08,776 was zur Signalverstärkung führen kann. 36 00:02:08,776 --> 00:02:13,214 Die sensorischen Signale erreichen durch das Rückenmark das Gehirn. 37 00:02:13,214 --> 00:02:17,194 Dort werden sie vom somato- sensorischen Cortex verarbeitet. 38 00:02:17,194 --> 00:02:20,611 Der ganze Körper ist in diesem Cortex abgebildet. 39 00:02:20,611 --> 00:02:23,375 Die sensiblen Körperteile mit vielen Nervenenden, 40 00:02:23,375 --> 00:02:25,136 wie z.B. Lippen und Hände, 41 00:02:25,136 --> 00:02:27,710 beanspruchen die größten Flächen. 42 00:02:27,710 --> 00:02:30,994 Der Homunculus ist eine Abbildung des menschlichen Körpers, 43 00:02:30,994 --> 00:02:36,481 dargestellt im Größenverhältnis der Inanspruchnahme des Cortex. 44 00:02:36,481 --> 00:02:41,406 Der Cortex-Anteil für eine Körperregion kann größer oder kleiner werden, 45 00:02:41,406 --> 00:02:46,124 was vom sensorischen Input aus dieser Körperregion abhängt. 46 00:02:46,124 --> 00:02:51,213 Zum Beispiel ist die linke Hand eines Geigenspielers größer 47 00:02:51,213 --> 00:02:53,693 als bei einem Nicht-Geigenspieler. 48 00:02:53,693 --> 00:02:56,377 Der Cortex-Anteil vergrößert sich auch 49 00:02:56,377 --> 00:02:58,489 bei Verletzungen eines Körperteils, 50 00:02:58,489 --> 00:03:02,259 um die Wachsamkeit für Gefahr zu steigern. 51 00:03:02,259 --> 00:03:06,700 Dieser vergrößerte Cortex-Anteil kann zu Phantom-Schmerzen führen. 52 00:03:06,700 --> 00:03:09,947 Die cortikale Karte ist wahrscheinlich auch dafür verantwortlich, 53 00:03:09,947 --> 00:03:13,223 dass ein amputiertes Körperteil immernoch gefühlt wird, 54 00:03:13,223 --> 00:03:16,505 weil der betreffende Cortex-Anteil noch existiert. 55 00:03:16,505 --> 00:03:22,172 Später kann der Anteil schrumpfen, und damit auch der Phantomschmerz. 56 00:03:22,172 --> 00:03:26,744 Aber die Phantome bleiben oft bestehen. 57 00:03:26,757 --> 00:03:29,632 Die Phantombehandlung war bisher eine Kombination von 58 00:03:29,632 --> 00:03:31,495 Physiotherapie, 59 00:03:31,495 --> 00:03:33,302 Schmerzmitteln, 60 00:03:33,302 --> 00:03:34,377 Prothesen 61 00:03:34,377 --> 00:03:36,052 und Zeit. 62 00:03:36,052 --> 00:03:38,301 Die neue Spiegelkasten-Therapie 63 00:03:38,301 --> 00:03:41,368 vergrößert den Bewegungsbereich 64 00:03:41,368 --> 00:03:43,967 und reduziert den Phantomschmerz. 65 00:03:43,967 --> 00:03:48,076 Der Patient legt das Phantom-Glied in eine Box hinter einen Spiegel 66 00:03:48,076 --> 00:03:50,699 und das intakte Glied vor den Spiegel. 67 00:03:50,699 --> 00:03:53,926 So wird das Hirn ausgetrickst, denn jetzt sieht es auch das Phantom, 68 00:03:53,926 --> 00:03:55,913 anstatt es nur zu fühlen. 69 00:03:55,913 --> 00:03:59,045 Wissenschaftler entwickeln jetzt Virtual-Reality-Therapien, 70 00:03:59,045 --> 00:04:03,726 welche die Spiegel-Therapie lebensechter darstellen. 71 00:04:03,726 --> 00:04:06,550 Prothesen wirken ähnlich, 72 00:04:06,550 --> 00:04:08,708 denn viele Patienten berichten von Schmerzen 73 00:04:08,708 --> 00:04:11,593 nach dem Entfernen der Prothese. 74 00:04:11,593 --> 00:04:13,801 Phantome helfen dem Patienten dabei, 75 00:04:13,801 --> 00:04:18,733 die Prothese als eigenes Körperteil zu akzeptieren 76 00:04:18,733 --> 00:04:21,302 und sie intuitiv zu benutzen. 77 00:04:21,302 --> 00:04:24,530 Es gibt noch viele Fragen bezüglich der Phantome. 78 00:04:24,530 --> 00:04:26,258 Ungelöst bleiben die Fragen, 79 00:04:26,258 --> 00:04:30,008 warum einige Amputationspatienten keine Schmerzen fühlen, 80 00:04:30,008 --> 00:04:32,790 und einige auch überhaupt keine Phantomempfindungen haben. 81 00:04:32,790 --> 00:04:35,149 Die weitere Forschung zu Phantomgliedern 82 00:04:35,149 --> 00:04:38,527 ist nicht nur für Betroffene bedeutsam. 83 00:04:38,527 --> 00:04:40,797 Ein tieferes Verständnis der Phantome 84 00:04:40,797 --> 00:04:45,027 liefert Erkenntnisse über unsere täglichen Hirnleistungen 85 00:04:45,027 --> 00:04:47,625 und wie wir dadurch die Welt wahrnehmen. 86 00:04:47,625 --> 00:04:49,272 Das erinnert uns daran, 87 00:04:49,272 --> 00:04:53,408 dass unsere erlebte Wirklichkeit tatsächlich subjektiv ist.