Viele Menschen, die eine Gliedmaße verloren haben, können diese noch fühlen, nicht als Erinnerung oder Kontur, sondern mit lebensechten Details. Sie können ihre Phantomfinger beugen und fühlen manchmal sogar das Uhrenarmband oder das Pochen eines eingewachsenen Fußnagels. Es verblüfft, dass auch manche Menschen, denen bei Geburt eine Gliedmaße fehlte, Phantomempfindungen berichten. Was verursacht Phantomempfindungen? Vermutlich entstehen sie dadurch, dass eine Körper-Landkarte in unserem Gehirn existiert. Die Tatsache, dass Menschen, die ohne eine Gliedmaße geboren werden, diese trotzdem fühlen, deutet darauf hin, dass bei der Geburt eine solche Landkarte angelegt ist. Aber Phantomglieder unterscheiden sich von ihren Vorgängern aus Fleisch und Blut, da sie meist Schmerzen erzeugen. Um Phantomglieder und Phantomschmerz zu verstehen, muss der Weg von der Extremität zum Gehirn verfolgt werden. Durch unsere Glieder laufen sehr viele sensorische Neurone, die uns Fingerspitzengefühl geben und auch das Verständnis für die Lage unseres Körpers im Raum. Diese sensorische Information wird über neuronale Bahnen durch das Rückenmark zum Gehirn geleitet. Eine lange Strecke bis zum Gehirn liegt außerhalb der Extremität, deshalb existiert ein großer Teil davon auch noch nach der Amputation. Jedoch verändert der Verlust eines Gliedes die Signalübertragung zum Gehirn. Am Amputationsort werden durchtrennte Nervenenden häufig dicker und sensibler, wodurch sie schon bei leichtem Druck Notsignale senden. Unter normalen Umständen würde eine Signalhemmung im Hinterhorn des Rückenmarks stattfinden. Unbekannt ist jedoch, warum nach einer Amputation die Hemmung des Hinterhorns fehlt, was zur Signalverstärkung führen kann. Die sensorischen Signale erreichen durch das Rückenmark das Gehirn. Dort werden sie vom somato- sensorischen Cortex verarbeitet. Der ganze Körper ist in diesem Cortex abgebildet. Die sensiblen Körperteile mit vielen Nervenenden, wie z.B. Lippen und Hände, beanspruchen die größten Flächen. Der Homunculus ist eine Abbildung des menschlichen Körpers, dargestellt im Größenverhältnis der Inanspruchnahme des Cortex. Der Cortex-Anteil für eine Körperregion kann größer oder kleiner werden, was vom sensorischen Input aus dieser Körperregion abhängt. Zum Beispiel ist die linke Hand eines Geigenspielers größer als bei einem Nicht-Geigenspieler. Der Cortex-Anteil vergrößert sich auch bei Verletzungen eines Körperteils, um die Wachsamkeit für Gefahr zu steigern. Dieser vergrößerte Cortex-Anteil kann zu Phantom-Schmerzen führen. Die cortikale Karte ist wahrscheinlich auch dafür verantwortlich, dass ein amputiertes Körperteil immernoch gefühlt wird, weil der betreffende Cortex-Anteil noch existiert. Später kann der Anteil schrumpfen, und damit auch der Phantomschmerz. Aber die Phantome bleiben oft bestehen. Die Phantombehandlung war bisher eine Kombination von Physiotherapie, Schmerzmitteln, Prothesen und Zeit. Die neue Spiegelkasten-Therapie vergrößert den Bewegungsbereich und reduziert den Phantomschmerz. Der Patient legt das Phantom-Glied in eine Box hinter einen Spiegel und das intakte Glied vor den Spiegel. So wird das Hirn ausgetrickst, denn jetzt sieht es auch das Phantom, anstatt es nur zu fühlen. Wissenschaftler entwickeln jetzt Virtual-Reality-Therapien, welche die Spiegel-Therapie lebensechter darstellen. Prothesen wirken ähnlich, denn viele Patienten berichten von Schmerzen nach dem Entfernen der Prothese. Phantome helfen dem Patienten dabei, die Prothese als eigenes Körperteil zu akzeptieren und sie intuitiv zu benutzen. Es gibt noch viele Fragen bezüglich der Phantome. Ungelöst bleiben die Fragen, warum einige Amputationspatienten keine Schmerzen fühlen, und einige auch überhaupt keine Phantomempfindungen haben. Die weitere Forschung zu Phantomgliedern ist nicht nur für Betroffene bedeutsam. Ein tieferes Verständnis der Phantome liefert Erkenntnisse über unsere täglichen Hirnleistungen und wie wir dadurch die Welt wahrnehmen. Das erinnert uns daran, dass unsere erlebte Wirklichkeit tatsächlich subjektiv ist.