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< Dharma School I >
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< Was bedeutet die „Leerheit“? >
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(Fragende) Guten Tag!
Ich grüße Sie, Sunim, und Sie alle.
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Vor so vielen Menschen eine Frage
zu stellen, macht mich etwas nervös.
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Bitte haben Sie daher
etwas Verständnis.
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Meine Frage bezieht sich auf
das Konzept der „Leerheit“.
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„Leerheit“ wurde in Ihren
Lehrvorträgen, Videos und Materialien
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mehrfach erwähnt und kommt auch in
traditionellen Sutras wie dem
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„Diamant-Sutra“ oder „Herz-Sutra“
häufig vor.
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Jedes Mal, wenn ich der Bedeutung
von ‚Leerheit‘ im Buddhismus begegne,
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bin ich zunehmend verwirrt
– manchmal fühle ich mich entmutigt,
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ja sogar etwas demotiviert.
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Ich denke, das liegt daran, dass
mein Verständnis der Leerheit
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noch zu oberflächlich ist.
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Ich verstehe unter Leerheit,
dass aufgrund von „Vergänglichkeit“
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und „bedingtem Entstehen“
„letztendlich alles leer ist“.
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Meine Schwierigkeit liegt aber darin,
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wie ich dieses Konzept richtig
verstehen soll, ohne die wichtigen Dinge
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in meinem Leben zu verneinen, wie
Familienbeziehungen oder wichtige Ziele.
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Das ist meine Frage.
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(Sunim) Das Wort ‚Leerheit‘ geht auf
ein chinesisches Schriftzeichen zurück.
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Es handelt sich um das Zeichen ‚kōng‘,
das ‚leer‘ bzw. ‚leer sein‘ bedeutet.
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Aber wie Sie wissen, haben chinesische
Schriftzeichen je nach Kontext
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nicht nur eine Bedeutung, sondern
zehn oder zwanzig verschiedene.
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Wenn „ein Zeichen oder Wort nur eine
Bedeutung hat“,
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dann können wir das „Form“ nennen.
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Wenn es je nach Kontext
verschiedene Bedeutungen annimmt,
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dann können wir dies „Leerheit“ nennen.
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„Leerheit“ bedeutet also nicht,
dass „es gar nichts gibt“,
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sondern die Bedeutung „unter
vielen möglichen Bedeutungen
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auf keine einzige festgelegt“.
Das ist die Bedeutung von „Leerheit“.
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Zum Beispiel könnte jemand Sie
als „guten Menschen“ bezeichnen
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und jemand anderes könnte Sie
als „schlechten Menschen“ bezeichnen.
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Wenn jemand sagt,
Sie seien ein „guter Mensch“,
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bedeutet das, dass Sie
Eigenschaften haben,
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die Sie zu einem guten Menschen machen.
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Wenn jemand sagt, Sie seien ein
„schlechter Mensch“, dann haben Sie
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Eigenschaften, die Sie schlecht machen.
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Ob gute oder schlechte Eigenschaften –
dass solche Eigenschaften existieren,
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das ist „Form“:
das Gegenteil von „Leerheit“.
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„Leerheit“ hingegen bedeutet:
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Dieser Person erscheinen Sie gut
und jener Person erscheinen Sie schlecht,
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aber Sie selbst haben weder gute
noch schlechte Eigenschaften.
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Das heißt, Sie werden nicht
durch gute oder schlechte Eigenschaften
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zu einem guten oder schlechten Menschen.
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Sie haben weder gute
noch schlechte Eigenschaften.
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Nur je nach Betrachter erscheinen Sie
in deren Wahrnehmung gut oder schlecht.
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Wenn jemand sagt:
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„Sie sind ein guter Mensch“
oder „Sie sind ein schlechter Mensch“,
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sind Sie weder gut noch schlecht,
sondern bloß „leer“.
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So ist das Wort ‚leer‘ gemeint.
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„Leer sein“ bedeutet also nicht, „da
ist gar nichts“, sondern dass es
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gute oder schlechte „Eigenschaften“
nicht gibt. Weder gute noch schlechte.
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Angenommen: Hier gibt es einen Stoff.
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Jemand hat etwas von diesem Stoff
eingenommen und wurde gesund.
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Daher sagte diese Person:
„Das ist eine gute Medizin.“
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Aber ein anderer hat das eingenommen
und fühlte sich schlechter.
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Daher sagte er: „Das ist Gift.“
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Ist diese Substanz nun Medizin oder Gift?
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In der Welt gibt es drei Kategorien:
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Erstens: „Es ist Medizin.“
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Zweitens: „Es ist Gift.“
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Drittens: „Es kann sowohl heilen
als auch als Gift wirken.“
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Aber dieser Stoff selbst ist bloß „leer“.
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Dass er heilt oder als Gift wirkt,
ist keine Eigenschaft des Stoffs selbst.
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Das heißt, er ist einfach
nur ein Stoff.
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Je nachdem, worauf er wirkt,
wirkt er manchmal heilend
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und manchmal als Gift.
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Das nennen wir „Leerheit“.
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Leerheit bedeutet: Weder ist der
Stoff an sich Heilmittel oder Gift,
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noch der Mensch an sich
gut oder schlecht.
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All Stoffe , alle Wesen,
alles in dieser Welt –
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ob es materiell, biologisch
oder geistig ist –
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ist „einfach nur das, was es ist“.
„Es ist so.“
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Deshalb ist „die Wahrheit leer“.
Das heißt: „Es ist nur so, wie es ist.“
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Aber je nach Umständen,
das heißt je nach Zeit und Raum,
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erscheint es manchmal,
für diese Person, als etwas Gutes
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und für jene Person
als etwas Schlechtes.
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Manchmal zeigt es Heilkraft,
manchmal Giftigkeit.
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Weil es „leer“ ist, kann es
mal Medizin oder mal Gift werden.
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Weil es „leer“ ist, kann es ein guter
oder schlechter Mensch werden.
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„Leerheit“ ist also das Wesen
des Seins. Es ist so, „wie es ist“.
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„Form“ ist das, was sich uns zeigt,
wenn es den Umständen entsprechend
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so oder so erscheint.
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Wenn wir wissen, dass alle Wesen
„leer“ sind, gibt es kein Leid mehr.
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Das heißt, diese Person ist
weder gut noch schlecht.
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Das bedeutet nicht,
dass „es gar nichts ist“,
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sondern unter den Bedingungen
von Zeit und Raum
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kann sie uns gegenüber manchmal gut,
manchmal schlecht erscheinen.
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(Sunim) Wenn ich Sie sehe, scheinen Sie
es nicht richtig verstanden zu haben.
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(Fragende) Ich denke über Sunims
Worte nach, dass „Gut und Böse leer sind“.
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Dabei kann ich nicht umhin, an die
Diktatoren zu denken, die historisch
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viel Leid verursacht haben.
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Gleichzeitig versuche ich es
zu verstehen, wenn ich mir sage:
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„Diese Menschen haben
die Gebote gebrochen.“
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(Sunim) Sie müssen sehen, dass
„sogar die Gebote leer sind“.
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(Sunim lacht)
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(Fragende) Ihre Aussage, dass
„die Gebote leer sind“, verwirrt mich.
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Meinen Sie, dass die Gebote je nach Zeit
und Gesellschaft unterschiedlich sind?
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(Sunim) Es gibt keine Gebote,
die unabhängig von Zeit und Raum
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„immer objektive Wahrheit“ beinhalten.
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Das wäre sogar gefährlich.
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Deshalb hat der Buddha immer
unter den Bedingungen von Zeit und Raum –
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wie ein Kompass, der schwankt
und dann auf Norden zeigt –
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den „rechten Weg“ unter den
Bedingungen von Zeit und Raum bestimmt.
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Der rechte Weg ist nicht festgelegt,
sondern ändert sich je nach Zeit und Raum.
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Das nennen wir den „Mittleren Weg“.
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Was im Theravada-Buddhismus
„Mittlerer Weg“ heißt,
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wird im Mahayana-Buddhismus
zur „Leerheit“.
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Weil der Theravada-Buddhismus
zu sehr den Formalismus betonte,
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gab es Tendenz zur Festlegung
, was die Wahrheit sein sollte.
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Daraus entstand das Wort „Leerheit“
als Reaktion und Kritik darauf:
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„Selbst das, was Wahrheit
genannt wird, ist leer“.
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Das Wort „Leerheit“ kam erst später.
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Nachdem der Theravada-Buddhismus
festlegte, was Dharma bedeuten soll,
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entstand das Konzept als Widerstand gegen
Formalismus und diese Verabsolutierung:
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„Es gibt kein festgelegtes Dharma.“
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Gegen diesen Fixierungsversuch kam
die Behauptung:
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„Es gibt kein festgelegtes Dharma“.
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Das wurde später zum Ausdruck:
„Es ist leer“.
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(Sunim) Also: Gegen die Aussage:
„Das allein ist Wahrheit“,
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kam die Aussage: „Es gibt nichts
Festgelegtes, was Wahrheit
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genannt werden kann“ – „Es ist leer“.
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(Sunim) Daher ist unser Verständnis
des Begriffs als
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„räumlich nichts da“ und „völlig leer“
nur ein Teilaspekt.
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Wir klammern uns an andere Menschen.
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Wenn wir jemanden mögen,
wollen wir nach unserem Willen handeln.
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Wenn es nicht nach unserem Willen geht,
werden wir schlecht gelaunt.
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Wird das zu extrem, sagen wir „Genug!“
und geben auf oder lassen los.
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Das ist „Gleichgültigkeit“.
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Aber wenn wir das Klammern loslassen,
das heißt, wenn wir wissen, dass es
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„leer“ ist, gibt es nichts,
woran wir uns klammern sollten.
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Dann tun wir, was die anderen wünschen.
Bitten sie um Hilfe, helfen wir.
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Bitten sie nicht um Hilfe,
helfen wir nicht.
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Wir klammern uns an nichts und
sind auch nicht gleichgültig.