Dan Ariely über unseren fehlerhaften moralischen Code
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0:01 - 0:03Ich würde heute gerne ein wenig über
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0:03 - 0:06vorhersehbare Irrationalität sprechen.
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0:06 - 0:10Mein Interesse an irrationalem Verhalten
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0:10 - 0:13begann vor vielen Jahren im Krankenhaus.
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0:13 - 0:17Ich hatte damals schwere Verbrennungen,
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0:17 - 0:20und wenn man lange Zeit im Krankenhaus ist,
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0:20 - 0:23begegnet man vielen Arten von Irrationalität.
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0:23 - 0:28Was mich auf der Verbrennungsstation immer am meisten gestört hat
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0:28 - 0:32war, wie die Krankenschwestern meine Verbände gewechselt haben.
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0:33 - 0:35Jeder von Ihnen hat schon mal ein Heftpflaster abgenommen
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0:35 - 0:38und sich dabei irgendwann gefragt, was wohl besser sei:
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0:38 - 0:42Soll man es schnell abreißen -- Der Schmerz ist dann nur kurz aber dafür sehr intensiv --
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0:42 - 0:44oder es stattdessen langsam abziehen --
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0:44 - 0:48was zwar länger dauert, aber jeden einzelnen Moment erträglicher macht.
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0:48 - 0:51Welches ist der richtige Ansatz?
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0:51 - 0:55Die Schwestern auf meiner Station dachten, der richtige Ansatz
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0:55 - 0:58wäre das Abreißen, also haben sie festgehalten und abgerissen,
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0:58 - 1:00und festgehalten und abgerissen.
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1:00 - 1:04Und weil ich Verbrennungen an 70% meines Körpers hatte, dauerte das Ganze etwa eine Stunde.
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1:04 - 1:07Wie Sie sich vorstellen können,
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1:07 - 1:11habe ich den Moment des Abreißens unglaublich gehasst.
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1:11 - 1:13Ich habe versucht mit den Schwestern zu reden, ich fragte sie:
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1:13 - 1:14"Warum versuchen wir nicht mal was anderes?
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1:14 - 1:16Warum lassen wir uns nicht ein wenig mehr Zeit --
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1:16 - 1:21sagen wir zwei Stunden statt einer -- damit der Schmerz nicht so intensiv ist?"
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1:21 - 1:23Darauf sagten die Schwestern mir zwei Dinge.
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1:23 - 1:27Sie sagten mir erstens, sie hätten das richtige Modell vom Patienten --
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1:27 - 1:30daß sie wüßten, was das Richtige sei um den Schmerz gering zu halten --
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1:30 - 1:33Und dann sagten sie mir, die Bedeutung des Wortes "Patient"
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1:33 - 1:35habe nichts damit zu tun, Ratschläge zu geben, oder sich einzumischen, oder...
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1:35 - 1:38Das ist übrigens nicht nur im Hebräischen so,
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1:38 - 1:41sondern in jeder Sprache, mit der ich bis jetzt zu tun hatte.
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1:41 - 1:45Und, wissen Sie, es gibt nicht viel -- es gab nicht viel, was ich tun konnte,
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1:45 - 1:48also machten sie weiter mit dem was sie machten.
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1:48 - 1:50Als ich dann etwa drei Jahre später aus dem Krankenhaus entlassen wurde,
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1:50 - 1:53habe ich angefangen, an der Universität zu studieren
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1:53 - 1:56und eins der interessantesten Dinge, die ich dort gelernt habe
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1:56 - 1:58war, daß es eine wissenschaftliche Methode gibt
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1:58 - 2:02in der man eine Frage die man hat auf abstrakte Weise
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2:02 - 2:06neu stellt und durch die Untersuchung dieser neuen Frage
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2:06 - 2:08vielleicht etwas über die Welt erfahren kann.
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2:08 - 2:10Genau das habe ich also getan.
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2:10 - 2:11Mich interessierte nämlich noch immer die Frage,
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2:11 - 2:13wie man Verbrennungspatienten am besten die Verbände abnimmt.
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2:13 - 2:16Am Anfang hatte ich nicht viel Geld,
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2:16 - 2:20also ging ich in einen Werkzeugladen und kaufte mir einen Schraubstock.
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2:20 - 2:24Dann habe ich Leute in mein Labor gebracht, ihre Finger eingespannt
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2:24 - 2:26und ihn ein bißchen gequetscht.
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2:26 - 2:28(Gelächter)
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2:28 - 2:31Ich habe manchmal länger gequetscht und manchmal kürzer,
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2:31 - 2:33manchmal mit ansteigendem Schmerz, manchmal mit absteigendem,
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2:33 - 2:37mal mit Pause, mal ohne Pause - jede Art und Weise von Schmerz.
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2:37 - 2:39Wenn ich dann damit fertig war die Leute zu quälen, habe ich sie gefragt:
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2:39 - 2:41"Wie schmerzhaft war das? Oder das?"
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2:41 - 2:43Oder, "Wenn sie sich zwischen den letzten beiden entscheiden müßten,
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2:43 - 2:45Welchen Schmerz würden Sie wählen?"
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2:45 - 2:48(Gelächter)
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2:48 - 2:51Das habe ich eine Zeit lang so betrieben.
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2:51 - 2:53(Gelächter)
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2:53 - 2:57Und dann bekam ich, wie jedes gute akademische Projekt, mehr Geld zugesprochen.
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2:57 - 2:59Ich beschäftigte mich mit Geräuschen, Elektroschocks --
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2:59 - 3:04Ich hatte sogar einen Schmerzanzug, mit dem ich sehr starke Schmerzen verursachen konnte.
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3:04 - 3:08Am Ende dieses Prozesses hat sich dann herausgestellt,
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3:08 - 3:11daß die Krankenschwestern unrecht hatten.
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3:11 - 3:14Sicherlich waren sie wundervolle Menschen mit guten Absichten
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3:14 - 3:16und großer Erfahrung, aber trotzdem haben sie
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3:16 - 3:20ständig und vorhersehbar die selben Fehler wiederholt.
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3:20 - 3:23Wie sich herausstellt, nehmen wir nämlich die Länge des Schmerzes
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3:23 - 3:25und seine Intensität unterschiedlich wahr, weswegen
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3:25 - 3:29ich weniger Schmerzen gehabt hätte, wenn es zwar länger wehgetan hätte
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3:29 - 3:31aber dafür nicht so sehr.
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3:31 - 3:34Es wäre auch besser gewesen, mit meinem Gesicht anzufangen,
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3:34 - 3:36weil es da sehr weh getan hat, und sich zu meinen Beinen vorzuarbeiten
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3:36 - 3:39damit der Schmerz im Laufe der Zeit geringer wird --
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3:39 - 3:40auch das wäre weniger schmerzhaft gewesen.
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3:40 - 3:42Wir haben auch herausgefunden daß es gut gewesen wäre,
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3:42 - 3:44hätte man mir zwischendurch Pausen gegeben um mich vom Schmerz zu erholen.
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3:44 - 3:46Alles tolle Sachen, die man mit mir hätte machen können,
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3:46 - 3:49aber meine Pfleger hatten keine Ahnung.
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3:49 - 3:50Und dieser Punkt gab mir zu denken:
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3:50 - 3:53Sind Krankenschwestern die einzigen auf der Welt, die sich in diesem Punkt
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3:53 - 3:56täuschen, oder ist die Fehleinschätzung weiter verbreitet?
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3:56 - 3:58Wie sich herausstellt, ist sie weiter verbreitet --
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3:58 - 4:01Wir machen viele Fehler.
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4:01 - 4:06Ich möchte Ihnen ein Beispiel für solcherlei Irrationalität geben
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4:06 - 4:09und mit Ihnen über Betrug reden.
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4:09 - 4:11Ich beschäftige mich mit dem Betrügen weil es interessant ist,
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4:11 - 4:13uns aber auch, wie ich meine, etwas
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4:13 - 4:16über die gegenwärtige Börsenlage erzählen kann.
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4:16 - 4:19Mein Interesse am Betrügen begann
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4:19 - 4:21als Enron die Bühne betrat und plötzlich explodierte
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4:21 - 4:24und ich mich zu fragen begann, was gerade passiert war.
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4:24 - 4:25Gab es nur einige wenige
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4:25 - 4:28schwarze Schafe die zu solchen Dingen fähig waren,
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4:28 - 4:30oder war die Situation eher eine endemische?
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4:30 - 4:34Waren viele Menschen in der Lage, sich so zu verhalten?
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4:34 - 4:38Also begann ich wie so oft mit einem einfachen Experiment.
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4:38 - 4:39Und das sah so aus.
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4:39 - 4:42Wenn Sie in meinem Experiment waren, hätten Sie von mir ein Blatt Papier
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4:42 - 4:46mit 20 einfachen Mathematikaufgaben bekommen, die jeder lösen kann --
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4:46 - 4:48aber ich hätte Ihnen nicht genug Zeit gegeben.
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4:48 - 4:50Nach fünf Minuten hätte ich gesagt:
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4:50 - 4:53"Geben Sie mir ihre Blätter und ich zahle Ihnen einen Dollar pro gelöster Aufgabe."
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4:53 - 4:57Die Probanden haben das akzeptiert, und ich habe ihnen vier Dollar dafür gezahlt --
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4:57 - 4:59denn im Durchschnitt haben Sie vier Aufgaben lösen können.
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4:59 - 5:02Andere habe ich zum Schummeln verleitet.
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5:02 - 5:03Ich habe ihnen die Blätter ausgeteilt
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5:03 - 5:05Und nach den fünf Minuten habe ich gesagt:
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5:05 - 5:06"Zerreissen sie Ihr Arbeitsblatt,
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5:06 - 5:09stecken Sie die Schnipsel in Ihre Tasche
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5:09 - 5:12und sagen Sie mir wie viele Fragen Sie richtig beantwortet haben."
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5:12 - 5:15Und siehe da, plötzlich hat der Durchschnitt sieben Fragen beantwortet.
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5:15 - 5:20Es ist nicht so, als gäbe es wenige schwarze Schafe --
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5:20 - 5:23als betrögen wenige Leute und diese dafür sehr viel.
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5:23 - 5:26Wir sahen stattdessen daß viele Leute betrügen, jeder von ihnen aber nur ein bißchen.
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5:26 - 5:29In der Wirtschaftstheorie
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5:29 - 5:32ist Betrug nur eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung.
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5:32 - 5:34Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden?
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5:34 - 5:37Wieviel wird es mir nützen, zu betrügen?
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5:37 - 5:39Und wie schlimm wäre die Strafe, falls ich erwischt würde?
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5:39 - 5:41Man wägt diese Fragen gegeneinander ab --
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5:41 - 5:43eben eine ganz einfache Kosten-Nutzen-Rechnung --
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5:43 - 5:46und entscheidet dann, ob es sich lohnt, ein Verbrechen zu begehen oder nicht.
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5:46 - 5:48Also versuchten wir das zu überprüfen.
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5:48 - 5:52Bei manchen Testpersonen variierten wir, mit wieviel Geld sie davonkommen konnten --
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5:52 - 5:53Wieviel Geld sie stehlen durften.
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5:53 - 5:56Wir zahlten ihnen 10 cent pro richtiger Frage, 50 cent,
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5:56 - 5:59einen Dollar, fünf Dollar, 10 Dollar pro richtiger Frage.
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5:59 - 6:03Man könnte annehmen, daß, sobald die Summen höher wurden
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6:03 - 6:06auch mehr betrogen wurde - aber dem war nicht so.
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6:06 - 6:09Die meisten Leute betrogen und stahlen nur ein wenig.
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6:09 - 6:12Was ist mit der Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden?
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6:12 - 6:14Manche haben nur ihr halbes Arbeitsblatt zerrissen
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6:14 - 6:15es waren also noch Beweise übrig.
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6:15 - 6:17Andere haben ihr ganzes Arbeitsblatt zerrissen.
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6:17 - 6:20Andere haben alles zerrissen und gingen aus dem Zimmer
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6:20 - 6:23um sich draußen aus einer Geldschale zu bedienen, in der mehr als 100 Dollar lagen.
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6:23 - 6:26Man könnte erwarten, daß Leute häufiger betrügen, sobald die Wahrscheinlichkeit
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6:26 - 6:29erwischt zu werden, geringer wird - aber wieder war das nicht der Fall.
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6:29 - 6:32Wieder haben viele Leute nur ein klein wenig betrogen
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6:32 - 6:35ohne sich dabei um die ökonomischen Anreize zu kümmern.
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6:35 - 6:36Also fragten wir uns, wenn die Leute offenbar der
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6:36 - 6:41rationalen Entscheidungstheorie und ihren Kräften nicht unterliegen,
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6:41 - 6:44was geht hier dann vor sich?
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6:44 - 6:47Und wir kamen auf die Idee, daß es ja vielleicht zwei Kräfte gibt.
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6:47 - 6:49Einerseits wollen wir uns alle im Spiegel betrachten können
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6:49 - 6:52und uns dabei gut fühlen, also wollen wir nicht betrügen.
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6:52 - 6:54Anderseits könnten wir ein klein wenig schummeln
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6:54 - 6:56und uns immer noch gut fühlen.
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6:56 - 6:57Vielleicht ist es ja so, daß es
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6:57 - 6:59eine gewisse Schummelgrenze gibt die wir nicht übertreten wollen,
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6:59 - 7:03während wir trotzdem gerne von kleinen Betrügereien profitieren
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7:03 - 7:06solange diese unser Selbstbild nicht verschlechtern.
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7:06 - 7:09Wir nennen das den persönlichen Schummelfaktor.
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7:10 - 7:14Wie kann man so einen Schummelfaktor testen?
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7:14 - 7:18Zuerst haben wir gesehen, wie man den Fuffziger-Faktor verkleinern kann.
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7:18 - 7:20Wir haben uns Leute ins Labor geholt und ihnen gesagt,
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7:20 - 7:22wir hätten zwei Aufgaben für sie.
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7:22 - 7:23Zunächst haben wir die Hälfte der Probanden gebeten,
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7:23 - 7:2510 Buchtitel aus ihrer Schulzeit aufzuzählen
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7:25 - 7:28und die anderen, die Zehn Gebote zu rezitieren.
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7:28 - 7:30Dann haben wir sie in Versuchung geführt, zu schummeln.
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7:30 - 7:33Interessanterweise hat die Gruppe, die versucht hat die Zehn Gebote zu rezitieren --
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7:33 - 7:35in unserem Versuch hat es übrigens niemand geschafft, sich an alle Zehn zu erinnern --
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7:36 - 7:40aber die, die versucht haben die Zehn Gebote wiederzugeben,
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7:40 - 7:43haben, selbst wenn man ihnen die Chance gegeben hat zu betrügen, überhaupt nicht geschummelt.
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7:43 - 7:45Es war nicht so, daß die religiöseren Personen --
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7:45 - 7:46die, die mehr Gebote gewußt haben -- weniger betrogen hätten
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7:46 - 7:48und daß die weniger religiösen --
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7:48 - 7:49diejenigen, die sich an fast gar keine Gebote erinnern konnten --
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7:49 - 7:51mehr betrogen hätten.
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7:51 - 7:55Es war so, daß alle Probanden, sobald sie sich an die Zehn Gebote erinnern sollten,
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7:55 - 7:56einfach aufgehört haben zu betrügen.
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7:56 - 7:58Wir haben sogar einige bekennende Atheisten gebeten
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7:58 - 8:02auf die Bibel zu schwören und ihnen dabei die Möglichkeit gegeben zu schwindeln:
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8:02 - 8:04sie taten es nicht.
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8:06 - 8:08Die Zehn Gebote sind allerdings nur schwierig
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8:08 - 8:10mit dem Bildungssystem vereinbar, also haben wir uns überlegt,
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8:10 - 8:12warum wir nicht von Leuten verlangen, einen Ehrenkodex zu unterschreiben.
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8:12 - 8:14Also baten wir sie, folgendes zu unterschreiben:
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8:14 - 8:18"Ich bin mir im Klaren darüber, daß diese Untersuchung dem Ehrenkodex des MIT unterliegt."
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8:18 - 8:21Danach durften sie den Zettel zerreißen. Niemand hat geschummelt.
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8:21 - 8:22Das ist vor allem deswegen interessant,
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8:22 - 8:24weil das MIT überhaupt keinen Ehrenkodex hat.
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8:24 - 8:29(Gelächter)
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8:29 - 8:33So haben wir versucht, den Schummelfaktor gering zu halten.
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8:33 - 8:36Wie kann man ihn vergrößern?
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8:36 - 8:38Für das erste Experiment bin ich durch das MIT gelaufen
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8:38 - 8:41und habe Sechserpacks Cola in den Kühlschränken verteilt --
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8:41 - 8:43das waren öffentliche Kühlschränke für die Studenten.
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8:43 - 8:46Später kam ich zurück um zu messen, was wir im Fachjargon
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8:46 - 8:50die Halbwertszeit von Cola nennen - wie lange hält sie sich im Kühlschrank?
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8:50 - 8:53Wie Sie sich vorstellen können, hält sie nicht sehr lange - Leute nehmen sie sich.
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8:53 - 8:57Zum Gegensatz dazu nahm ich einen Teller mit sechs Ein-Dollar-Scheinen
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8:57 - 9:00und stellte solche Teller in die selben Kühlschränke.
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9:00 - 9:01Kein einziger Geldschein ist jemals verschwunden.
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9:01 - 9:04Das ist aber kein gutes sozialwissenschaftliches Experiment,
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9:04 - 9:07also haben wir das Experiment von zuvor verbessert
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9:07 - 9:09und nochmals wiederholt:
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9:09 - 9:12Ein Drittel der Probanden denen wir die Zettel gegeben haben, gab ihn uns zurück
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9:12 - 9:15Ein Drittel der Probanden hat ihren Zettel zerrissen,
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9:15 - 9:16sind zu uns gekommen und haben gesagt,
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9:16 - 9:19"Herr Versuchsleiter, ich habe X Fragen beantwortet, geben Sie mir X Dollar."
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9:19 - 9:22Und ein Drittel kam nach dem zerreissen ihres Blattes zu uns
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9:22 - 9:24und hat gesagt,
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9:24 - 9:30"Herr Versuchsleiter, ich habe X Fragen beantwortet, geben sie mir X Marken."
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9:30 - 9:33Wir haben Ihnen kein Geld gegeben, sondern Marken,
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9:33 - 9:36und dann mußten sie diese Marken nehmen und ein paar Meter weiter gehen
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9:36 - 9:38wo sie sie in echte Dollars eintauschen konnten.
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9:38 - 9:40Denken Sie einmal über das Folgende nach:
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9:40 - 9:43Wie schlecht fühlen Sie sich, wenn sie einen Stift von Ihrer Arbeit mit nach Hause nehmen
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9:43 - 9:45und wie schlecht
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9:45 - 9:47wenn sie 10 cent aus einer Kleingelddose stehlen?
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9:47 - 9:50Diese Dinge fühlen sich sehr unterschiedlich an.
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9:50 - 9:53Wenn man also für ein paar Sekunden nicht direkt an Geld denkt
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9:53 - 9:56weil man eine Marke bekommt, macht das einen Unterschied?
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9:56 - 9:58Unsere Testpersonen haben doppelt so viel betrogen.
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9:58 - 10:00Ich werde Ihnen gleich erzählen
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10:00 - 10:02was ich darüber und über die Börse denke.
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10:03 - 10:07Aber das hat das größte Problem noch nicht gelöst, das ich in Enron sah,
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10:07 - 10:10da Enron nämlich ein zusätzliches soziales Element besaß:
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10:10 - 10:11Denn Leute können ihr Verhalten gegenseitig beobachten.
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10:11 - 10:13Es ist doch so, daß wir jeden Tag wenn wir die Zeitung öffnen
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10:13 - 10:15Menschen sehen, die betrügen.
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10:15 - 10:18Was bedeutet das für uns?
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10:18 - 10:19Wir dachten uns also ein neues Experiment aus.
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10:19 - 10:22Wir haben jede Menge Studenten rekrutiert, an dem Experiment teilzunehmen
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10:22 - 10:23und sie im Voraus bezahlt.
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10:23 - 10:26Wir haben allen einen Umschlag mit der gesamten Bezahlung für das Experiment gegeben
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10:26 - 10:28und ihnen gesagt, wir würden sie am Ende bitten
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10:28 - 10:32uns das Geld zurückzugeben, das ihnen nicht zustünde. OK?
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10:32 - 10:33Das Gleiche ist passiert.
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10:33 - 10:35Wenn wir Menschen die Gelegenheit geben zu betrügen, betrügen sie auch.
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10:35 - 10:38Sie betrügen nur ein klein wenig, aber immerhin.
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10:38 - 10:41Wir haben für dieses Experiment aber auch einen Schauspielschüler engagiert.
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10:41 - 10:45Seine Rolle war es, nach 30 Sekunden aufzustehen und zu sagen:
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10:45 - 10:48"Ich habe alles gelöst. Was soll ich jetzt machen?"
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10:48 - 10:52Worauf der Versuchsleiter sagen würde: "Wenn Sie mit allem fertig sind, können Sie heimgehen."
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10:52 - 10:53Das war's. Mission erfüllt.
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10:53 - 10:57Wir hatten also einen Studenten -- einen Schauspielstudenten --
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10:57 - 10:59eingeschleust, und ihn zu einem Teil dieser Gruppe gemacht
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10:59 - 11:01in der niemand wußte, daß er ein Schauspieler war.
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11:01 - 11:05Und nun hat diese Person ganz offensichtlich einen dreisten Betrug begangen.
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11:05 - 11:08Wie würden die anderen Personen in der Gruppe reagieren?
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11:08 - 11:11Würden sie weniger schummeln oder mehr schummeln?
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11:11 - 11:13Das Folgende ist passiert:
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11:13 - 11:17Es hat sich herausgestellt daß es davon abhängt, was für ein Sweatshirt man trägt.
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11:17 - 11:19Es ist nämlich so:
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11:19 - 11:22Wir haben dieses Experiment an mehreren Unis durchgeführt.
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11:22 - 11:24Es gibt zwei große Universitäten in Pittsburgh,
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11:24 - 11:27Die Carnegie Mellon und die University of Pittsburgh.
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11:27 - 11:29Alle Testpersonen im Experiment
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11:29 - 11:31studierten an der Carnegie Mellon.
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11:31 - 11:35Wenn der Schauspieler auch einen Carnegie Mellon-Studenten spielte --
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11:35 - 11:37Er war übrigens tatsächlich ein Carnegie Mellon-Student --
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11:37 - 11:41solange er also Teil der Gruppe war, wurde mehr gemogelt.
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11:41 - 11:45Sobald er allerdings ein Sweatshirt der University of Pittsburgh anhatte
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11:45 - 11:47wurde weniger betrogen!
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11:47 - 11:50(Gelächter)
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11:50 - 11:53Das ist aber wichtig, denn wir erinnern uns:
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11:53 - 11:55als der Student aufstand,
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11:55 - 11:58machte das jedem klar, daß man für diesen Betrug keinen Ärger bekommt:
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11:58 - 12:00Denn der Versuchleiter hat ihm gesagt,
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12:00 - 12:02"Du hast alles beantwortet, Du kannst nach Hause gehen," und das Geld hat er behalten.
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12:02 - 12:05Es ging hier also nicht um die Wahrscheinlichkeit, beim Betrug erwischt zu werden.
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12:05 - 12:08Es ging vielmehr darum, wann Betrug normativ akzeptiert wird.
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12:08 - 12:11Wenn jemand aus unserer Wir-Gruppe betrügt und wir ihn dabei sehen
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12:11 - 12:15so haben wir als Gruppe das Gefühl, daß dieses Verhalten relativ angemessen ist.
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12:15 - 12:17Wenn es aber jemand aus einer anderen Gruppe ist, einer dieser schrecklichen Leute --
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12:17 - 12:19Ich meine damit niemand bestimmten --
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12:19 - 12:21aber jemand mit dem wir uns nicht identifizieren wollen,
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12:21 - 12:23jemand von einer anderen Universität, aus einer anderen Gruppe,
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12:23 - 12:26dann wird Ehrlichkeit von Menschen plötzlich viel stärker wahrgenommen --
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12:26 - 12:28ein bißchen wie bei dem Zehn-Gebote-Experiment --
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12:28 - 12:32und es wird viel weniger gemogelt.
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12:32 - 12:36Was haben wir davon also über das Betrügen gelernt?
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12:36 - 12:39Wir haben gelernt, daß viele Leute betrügen können.
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12:39 - 12:42Der Einzelne betrügt dabei nur ein bißchen.
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12:42 - 12:46Sobald wir Leute an ihre Moral erinnern, betrügen sie weniger.
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12:46 - 12:49Wenn der Betrug sich "weiter entfernt" anfühlt,
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12:49 - 12:53weil es beispielsweise nur indirekt um Geld geht, betrügen sie mehr.
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12:53 - 12:55Und wenn wir sehen wie um uns herum geschummelt wird,
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12:55 - 12:59vor allem wenn es ein Teil unserer Wir-Gruppe tut, dann schummeln wir mehr.
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12:59 - 13:02Wenn wir das jetzt auf die Börse anwenden,
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13:02 - 13:03was sehen wir dann?
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13:03 - 13:06Was passiert, wenn man etwas erschaffen hat
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13:06 - 13:08das Menschen sehr viel Geld dafür bezahlt,
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13:08 - 13:11die Wirklichkeit auf eine etwas verzerrte Art wahrzunehmen?
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13:11 - 13:14Wären sie nicht in der Lage, es auch so zu sehen?
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13:14 - 13:15Natürlich wären sie das.
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13:15 - 13:16Was passiert wenn man andere Dinge tut,
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13:16 - 13:18wie zum Beispiel Dinge weiter und weiter von Geld zu entfernen?
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13:18 - 13:21Wir haben Aktien, Aktienoptionen, Derivative,
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13:21 - 13:22Hypothekengestützte Wertpapiere.
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13:22 - 13:25Ist es möglich, daß diese weiter entfernten Dinge,
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13:25 - 13:27die keine Sekunde lang etwas reales repräsentieren,
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13:27 - 13:29die so viele Umwandlungsschritte von Geld entfernt sind
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13:29 - 13:33und es für so lange Zeit bleiben -- könnte es sein, daß Leute bei solchen Dingen sehr viel mehr betrügen?
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13:33 - 13:35Und was passiert mit einem gesellschaftlichen Umfeld
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13:35 - 13:38in dem Leute ständig das Verhalten ihrer Nächsten sehen?
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13:38 - 13:42Ich denke daß alle diese Kräfte sehr schlechte Auswirkungen
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13:42 - 13:44auf die Börse haben.
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13:44 - 13:47Etwas genereller wollte ich Ihnen etwas
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13:47 - 13:50über Verhaltensökonomie erzählen.
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13:50 - 13:54Oft lassen wir uns von unserer Intuition leiten --
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13:54 - 13:57die Sache ist daß diese Intuition oft falsch ist.
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13:57 - 14:00Die Frage ist, ob wir unserer Intuition nachgeben wollen oder sie erst auf die Probe stellen.
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14:00 - 14:02Wir können uns überlegen, wie wir solche Intuitionen
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14:02 - 14:04sowohl in unserem Privatleben als auch geschäftlich testen können.
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14:04 - 14:07Am wichtigsten ist dabei wohl die Politik,
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14:07 - 14:10man denke einmal an Dinge wie die Amerikanische Bildungsreform von 2001
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14:10 - 14:13oder die Schaffung neuer Börsenmärkte, oder andere politische Entscheidungen
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14:13 - 14:16wie Steuerpolitik, Gesundheitswesen und so weiter und so fort.
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14:16 - 14:18Wie schwierig es ist, unsere Intuition zu hinterfragen
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14:18 - 14:20habe ich deutlich sehen können
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14:20 - 14:22als ich ins Krankenhaus zurückging um meine Krankenschwestern wiederzusehen.
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14:22 - 14:24Ich ging zurück um mit ihnen zu reden
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14:24 - 14:27und ihnen zu erzählen, was ich über das Abnehmen von Verbänden gelernt hatte.
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14:27 - 14:29Dabei habe ich zwei interessante Dinge gelernt:
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14:29 - 14:31Erstens hat meine Lieblingsschwester Ettie mir gesagt,
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14:31 - 14:35ich hätte ihren Schmerz nicht in die Untersuchung einbezogen.
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14:35 - 14:37Sie sagte: "Natürlich war es sehr schmerzhaft für Sie.
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14:37 - 14:39Aber denken Sie einmal an mich als Krankenschwester.
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14:39 - 14:41Ich mußte jemandem den ich mochte die Verbände wechseln --
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14:41 - 14:44und das immer und immer wieder über einen sehr langen Zeitraum.
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14:44 - 14:47So viel Qual zu verursachen war auch für mich nicht schön."
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14:47 - 14:52Und dann sagte sie mir vielleicht einen Teil des Grundes, weswegen es für sie schwer war --
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14:52 - 14:55Eigentlich war es sogar noch interessanter als das, denn was sie sagte war:
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14:55 - 15:00"Ich glaubte nicht, daß Ihre Intuition richtig war."
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15:00 - 15:01"Ich glaubte, meine Intuition war es."
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15:01 - 15:03Wenn Sie jetzt einmal über jede Ihrer Eingebungen nachdenken,
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15:03 - 15:07ist es sehr schwer, zu glauben, daß Ihre Intuition sie trügt.
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15:07 - 15:10Und sie sagte, weil ich dachte, meine Intuition wäre richtig --
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15:10 - 15:12und sie dachte ihre Intuition wäre richtig --
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15:12 - 15:17wäre es sehr schwierig für sie, ein schwieriges Experiment zu veranstalten
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15:17 - 15:19nur um zu überprüfen, ob sie falsch lag.
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15:19 - 15:23Das ist aber tatsächlich die Situation in der wir uns alle die ganze Zeit befinden.
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15:23 - 15:26Unsere Intuition spricht über alles Mögliche zu uns --
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15:26 - 15:29über unsere eigenen Fähigkeiten, wie die Wirtschaft funktioniert,
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15:29 - 15:31darüber, wie gut wir Lehrer bezahlen sollten.
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15:31 - 15:34Aber solange wir nicht anfangen, diese Eingebungen auf die Probe zu stellen,
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15:34 - 15:36werden wir es nie besser machen als jetzt.
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15:36 - 15:38Denken Sie einmal darüber nach, wieviel höher meine Lebensqualität gewesen wäre,
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15:38 - 15:40wenn meine Krankenschwestern bereit gewesen wären, ihre Intuition zu hinterfragen
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15:40 - 15:41und um wieviel besser unser aller Leben sein könnte,
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15:41 - 15:46wenn wir nur anfingen, unsere Intuitionen durch systematische Experimente zu überprüfen.
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15:46 - 15:48Vielen Dank.
- Title:
- Dan Ariely über unseren fehlerhaften moralischen Code
- Speaker:
- Dan Ariely
- Description:
-
Verhaltensökonom Dan Ariely spricht über die Fehler in unserem moralischen Code, die versteckten Gründe wieso wir glauben daß es (manchmal) OK ist, zu stehlen oder zu betrügen. Raffinierte Studien unterstreichen sein Argument dass wir vorhersagbar irrational sind - und auf Arten beeinflusst werden können die wir nicht begreifen.
- Video Language:
- English
- Team:
closed TED
- Project:
- TEDTalks
- Duration:
- 16:03